Seit längerer Zeit störe ich mich an dem Nutzen des Wortes “Toleranz” in Diskussionen. “Sei doch nicht so intolerant”, “Ich bin ja nicht intolerant, ABER…” oder “Da werden die ach so Toleranten spontan intolerant” sind gängige Formulierungen in vielen Diskussionen. Wie bei so vielen Begrifflichkeiten gibt es anscheinend für viele Menschen nur ABSOLUTE Toleranz und ABSOLUTE Intoleranz. Ich tute mich sehr schwer damit. Vor allem beschreibt es nicht den Begriff im eigentlichen Sinne. Zunächst einmal ein Auszug aus dem guten, lieben Wiki zum Wort:
Toleranz, auch Duldsamkeit,[1] ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.[2] Umgangssprachlich ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.[3]
Das zugrundeliegende Verb tolerieren wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen tolerare („erdulden“, „ertragen“) entlehnt.[4] Das Adjektiv tolerant in der Bedeutung „duldsam, nachsichtig, großzügig, weitherzig“ ist seit dem 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, belegt,[5] ebenso die Gegenbildung intolerant, als „unduldsam, keine andere Meinung oder Weltanschauung gelten lassend als die eigene“.[5]
Der Gegenbegriff zu Toleranz ist die Intoleranz, in der Bedeutung „Unduldsamkeit“ im 18. Jahrhundert aus dem französischen intolérance entlehnt.[5] Als Steigerung der Toleranz gilt die Akzeptanz, die verstehende Haltung gegenüber einer anderen Person oder ihrem Verhalten.
Erst mal meine Einstellung zum Begriff als solches:
Da nun jeder Mensch unterschiedlich ist, und jeder Mensch, egal wie sehr er einer Gruppierung angehört, eine eigene Sichtweise hat, ist de facto JEDER Mensch unterschiedlich tolerant. Wenn man das ganze mehr wie einen Betrieb sieht, wird es klarer:
Sagen wir, der Mensch ist eine Fabrik. Bei der Produktion eines Produktes hat die Firmenleitung eine Toleranzgrenze eingeführt. Oder einen Toleranzspielraum. Eine Schraube im Produkt hat einen Toleranzspielraum von 0,001 bis 0,1mm. Alles darunter oder darüber ist NICHT tolerierbar, weil es der Firma schaden würde. Entweder finanziell oder sonst wie. Genau so ist es in meinen Augen auch mit der Toleranz zu Überzeugungen, Handlungsweisen oder Sitten. Ein Mensch der also allem gegenüber tolerant ist, ist de facto einfach absolut uninteressiert an der Welt um sich herum. Einer solchen Person ist alles egal. Es ist alles belanglos und unwichtig. In meinen Augen gibt es keine ABSOLUT toleranten Personen. Jeder Mensch hat zu jedem Thema, das ihn irgendwie interessiert, einen gewissen Toleranzspielraum. Man erduldet einfach bestimmte Dinge bis zu einem gewissen Grad, und dann ist Schluss. Das gilt für jeden Menschen und jedes Thema. Und ja, bei einigen Themen kann man keine Meinung zu haben, und damit eine diesbezüglich absolute Toleranz.
Was mich wirklich stört:
In einigen Diskussionen kommt gerne die “Argumentation”, dass die “Toleranten” auf einmal intolerant würden, sobald sie die andere Meinung hören. Das ist schon Blödsinn in sich. Tolerant sein, heißt NICHT, einfach alles zu akzeptieren. Natürlich stellt sich ein Mensch gegen eine Meinung, die seine Lebenseinstellung verneint, ablehnt oder gar angreift.
Wenn sich dann, zum Beispiel, ein gewisser CSU-Politiker über Facebook darüber beschwert, dass die “ach so toleranten Gutmenschen” ihm gegenüber auf einmal intolerant sind, fasse ich mir an den Kopf und frage mich, wo da die Logik steckt. In diesem Beispiel geht es um Homosexualität. Der CSU-Politiker hat sich ziemlich klar dafür ausgesprochen, dass Homosexualität strafbar sein sollte. (Diese Sichtweise zu Homosexualität ist noch mal ein anderer Schnack, über den ich auch mal beizeiten schreiben werde.) Er spricht sich also dafür aus, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen, die in keinster Weise aktiv an der Zersetzung der Gesellschaft beteiligt sind oder sonstwie kriminell aktiv werden, aufgrund einer sexuellen Vorliebe hinter Gitter gebracht werden. (Auch noch mal ein Thema…)
Nun sehen sich viele Menschen durch diese Aussage – in meinen Augen zurecht – bedroht. Denn, wenn diese Idee umgesetzt würde, würden unzählige Menschen für etwas, das sie nicht beeinflussen können (auch das ist noch mal ein Diskussionsthema, ein andermal aber mehr dazu), verhaftet werden. Das betrifft nicht nur die dann Kriminalisierten, sondern auch alle, die mit diesen Menschen zu tun haben, mit ihnen leben, mit oder durch diese Geld verdienen. Darunter auch der Staat selbst. Das ist also eine direkte Bedrohung, und überschreitet also bei vielen die Toleranzgrenze, die meist bei der Bedrohung des eigenen Lebens ganz schnell endet.
Zu sagen, dass diese Menschen also hypokritisch argumentieren würden, ist also einfach falsch. Sie handeln absolut gerechtfertigt im Rahmen ihrer persönlich gesetzten Toleranzwerte, die natürlich bei jedem Thema anders ist, denn sonst wäre es ihnen egal.
Das gilt natürlich auch für alle, die anderer Meinung sind. Der besagte CSU-Politiker fühlt sich offensichtlich irgendwie durch homosexuelle Menschen bedroht. Und zwar im selben Ausmaß wie von Betrügern, Dieben, Räubern, Vergewaltigern und Mördern (um einfach mal kriminelles aufzuzählen, ohne dabei all diese gleichzusetzen). Das überschreitet also ganz klar seine Toleranzgrenze und damit ist er in diesem Falle intolerant. Er wäre also dementsprechend sehr tolerant gegenüber der Verfolgung von Homosexuellen.
Meine Toleranz gegenüber Homosexuellen ist im Gegensatz dazu sehr hoch, und meine Toleranz gegenüber der Verfolgung von Homosexuellen bei 0. Ganz einfach.
Es ist also einfach nicht richtig zu sagen: “Ach, und auf einmal bist Du da intolerant, und wo anders tolerant, das ist ja voll die Doppelmoral.” Nein, das ist einfach die persönliche Toleranzspanne.
(Nochmal: Es geht mir nicht um die Aussage über die Homosexualität (die ich bedenklich finde), sondern um diese bestimmte Art der Dialektik Personen Doppelmoral vorzuwerfen wo keine ist)